Silberne und goldene Monumentalkruzifixe
Ein Beitrag zur mittelalterlichen Liturgie- und Kulturgeschichte
Italienische, französische, deutsche und englische Schriftquellen berichten aus der Zeit des 7. bis 12. Jahrhunderts von der Existenz von mindestens zwanzig aus Silber oder Gold gefertigten Kruzifixen, die ein annähernd lebensgroßes, plastisches Corpus trugen und damit die Anforderungen der Monumentalskulptur erfüllten.
Die vorliegende Untersuchung orientiert sich zunächst an den drei erhaltenen Stücken des 10., frühen 11. und 12. Jahrhunderts in Pavia, Vercelli und Freiburg i. Br. sowie an der Renaissancekopie eines silbernen Kruzifixes für St. Peter in Rom. Mit Blick auf das gesamte Kirchenjahr stellt sich für beide Kruzifixgruppen die Frage nach der dauerhaften Sichtbarkeit von Bildwerken im Kirchenraum. Die Rekonstruktion der liturgischen Funktion der Monumentalkruzifixe ist deshalb ein wesentliches Anliegen der vorliegenden Arbeit.
Eine gesonderte Untersuchung ist dem während des 16. und 17. Jahrhunderts eingetretenen Bedeutungsverlust der monumentalen Kruzifixe im Kirchenraum gewidmet. In einem zweiten Schritt wird die Bedeutung der silbernen und goldenen Monumentalkruzifixe für das Leben ihrer Stifter, ihrer Zerstörer, für das der zeitgenössischen Gläubigen und schließlich auch für das der nachfolgenden Generationen nachgezeichnet. So sind die Kultbildinszenierungen monumentaler Kruzifixe im 16. und 17. Jahrhundert als Strategien der Aktualisierung nicht mehr als zeitgerecht empfundene Darstellungen erkennbar. Die tatsächlichen Motive lagen oftmals im wirtschaftlichen Bereich. Auch im Hinblick auf die Stiftung von Monumentalkruzifixen kam ihrer Funktion als temporäre finanzielle Depots eine nicht zu unterschätzende Rolle zu. Das Auftreten der silbernen und goldenen Monumentalkruzifixe berührt die Diskussion um die Entstehung der mittelalterlichen Monumentalskulptur in Westeuropa. Einzelne Aussagen, die schriftlichen Zeugnisse einer gesellschaftlichen Elite, erlauben einen Einblick in die innerkirchliche Diskussion um die angemessene Darstellung des Gekreuzigten, die auch die silbernen und goldenen Monumentalkruzifixe betrifft.
“Besonders durch die Erfassung und sorgfältige Auswertung der Schriftquellen gelingt es der Verfasserin, eine Forschungslücke auf überzeugende Weise zu schließen.” Gia Toussaint, Das Mittelalter 10(2005) 2