„Niemand mehr da“
Antisemitische Ausgrenzung und Verfolgung in Rauischholzhausen 1933–1942
»Ich habe nicht die Natur zurückzugehen. [...] I [would] like to go, once more to Holzhausen, on the cemetery, to Kirchhain. I want to see, but ... ist niemand mehr da.« Martin Spier, New York City 2009 Die, die nicht mehr da sind, sind die jüdischen Bewohnerinnen und Bewohner Rauischholzhausens. Sie wurden verfolgt und entrechtet, vertrieben und ermordet. Dabei reicht die Geschichte jüdischen Lebens vor Ort weit zurück. Auch Antisemitismus hatte Tradition. 1933 hatte das Dorf noch 20 jüdische Bewohnerinnen und Bewohner. Am 6. September 1942 wurden die letzten 18 jüdischen Menschen aus Rauischholzhausen und der näheren Umgebung am örtlichen Zimmerplatz auf LKWs getrieben und nach Theresienstadt verschleppt. Drei von ihnen überlebten die Shoah und kehrten 1945 ins Dorf zurück. Dieses Buch ist das Ergebnis einer Suche nach denen, die fehlen und nach den Gründen ihrer Abwesenheit. Es ist das Ergebnis einer umfangreichen Suche in Archiven, in Gesprächen mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen vor Ort, insbesondere aber Gesprächen mit vier jüdischen Überlebenden, den Geschwistern der Familie Spier. Auf Grundlage ihrer Erinnerungen unternimmt es den Versuch, die nicht beschreibbaren Jahre 1933–1942 zu beschreiben und präsentiert für Rauisch-holzhausen eine Ereignisgeschichte, die eine eigene Dynamik entwickelte und der staatlichen Ausgrenzungs- und Verfolgungspolitik in vielfacher Hinsicht zuvorkam. Annamaria Junge (*1981) studierte Jura in Berlin, einen Masterstudiengang zum Nationalsozialismus und arbeitet seit 2011 an einer Promotion zu jüdischer Geschichte in Deutschland nach 1945. Ihre Mutter ist in Rauischholzhausen geboren, ihre Großmutter (*1915) lebt noch dort. Der leibliche Großvater war Verwalter des größten landwirtschaftlichen Betriebs im Dorf, SA-Mitglied, Hitlerjugendführer und starb 1945 als Soldat in sowjetischer Kriegsgefangenschaft.