»Auschwitz in der Paulskirche«
Erinnerungspolitik in Fotoausstellungen der sechziger Jahre
1963 und 64 wurden in der Frankfurter Paulskirche zwei Fotoausstellungen eröffnet: »Warschauer Ghetto« und »Auschwitz -Bilder und Dokumente«. Beide Ausstellungen gehörten zu den ersten Dokumentationen über den Nationalsozialismus im Nachkriegsdeutschland, welche die Ermordung der europäischen Juden explizit thematisierten und überregionale Aufmerksamkeit fanden. Beide stehen exemplarisch dafür, wie das historische Geschehen im Schnittpunkt aktueller Erinnerungspolitik und Ausstellungsästhetik zu Beginn der sechziger Jahre gedeutet wurde.
Die Untersuchung der Ausstellungen geht drei Aspekten nach. Am Anfang stehen die Bedingungen ihrer Entstehung und Wirkung. Die Ausstellungen sind nur vor dem Hintergrund des Auschwitz-Prozesses zu verstehen, der vom Dezember 1963 bis zum August 1965 ebenfalls in Frankfurt stattfand. Immer wieder haben die Veranstalter auf das Verfahren und die Juristen auf die Ausstellungen verwiesen. Sicher hat der Prozeß auch das öffentliche Interesse befördert: 1963 kamen in 6 Wochen 60000, 1964 in 5 Wochen sogar 80000 Besucher in die Paulskirche, bevor die Ausstellungen in weiteren bundesdeutschen Städten gezeigt wurden. In einem zweiten Schritt werden die Ausstellungen rekonstruiert: Was war zu sehen? Welche Interpretation von Auschwitz boten die Ausstellungen an? Im dritten Teil werden die Ausstellungen aus dem Feld der gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus im engeren Sinne gelöst und in Beziehung zu zeitgleichen populären Fotoausstellungen gesetzt. Offensichtlich hat der verantwortliche Grafiker Wolfgang Dohmen zeitgenössische Fotoausstellungen sogenannter Life-Fotografie rezipiert. Präsentationssprache und »Botschaft« der »Family of Man«, der »Weltausstellung der Photographie« oder der »photokina Bilderschauen« haben ihre Spuren in den Frankfurter Ausstellungen hinterlassen: Die Fotografie wird zur »Weltsprache«, die sich jedem Betrachter unmittelbar erschließt, und zur Verfechterin humanitärer Ideale.
Cornelia Brink, geboren 1961, Studium der Volkskunde, Neueren Deutschen Literaturgeschichte und Kunstgeschichte in Freiburg und Hamburg, Dr. phil., Forschungsprojekt zu Fotoausstellungen der 60er Jahre, arbeitet z.Zt. zur Psychiatriegeschichte des 20. Jahrhunderts.