Rosemarie Gerhardy, Christine Bernheiden, Barbara Uppenkamp
Baudekoration als Bildungsanspruch
Im 16. Jahrhundert bekam die nordeuropäische Architektur durchgängig eine neue Gestalt. Zahllose Neubauten wurden in dieser Zeit wirtschaftlicher Blüte errichtet, bestehende Gebäude erhielten neue Fassaden in Formen der Renaissance. Mit der Verwendung von Vorlagen aus den italienischen „Säulenbüchern“ und ihren Nachfolgern demonstrierten die Bauherren ihre Kenntnis humanistischen Bildungsgutes.
In diesem Band wird nach einer knappen Darstellung über die Entwicklung des Vorlagenwesens im 16. Jahrhundert zunächst ausführlich das Roll- und Beschlagwerk im Weserraum übersichtlich präsentiert, das die Kenntnis dieser grafischen Vorlagen an den Fassaden von Bürgerhäusern, Rathäusern und Schlössern dokumentiert.
Zwei weitere Untersuchungen widmen sich der ausführlichen Analyse einzelner Bauten. Mit der Umgestaltung des mittelalterlichen Rathauses Hann. Münden in den Jahren 1603 bis 1618 in den Formen der „Weserrenaissance“ demonstrierte der Rat durch Wohlstand und Bildung seiner Bürger eine gleichrangige Bedeutung gegenüber dem Landesherrn, dessen Schloß zuvor ebenfalls in Formen der Renaissance neugestaltet wurde.
Beim Erbhof Thedinghausen nahe Bremen ist die innere Raumstruktur an französischen Vorbildern und Architekturtraktaten orientiert. Ebensowenig zufällig wie die Grundrisse dieses einflügeligen Schlosses sind die Dekorationen der Ausluchten, deren Fassaden mit ihren Medaillonbildnissen als Anspielung auf die humanistische Bildung des Bauherrn zu werten sind.