Georg Büchner in Frankreich
Vom „französischen Hamlet“ zum Instrument „gelungener Collaboration“. Wahrnehmung und Wirkung 1845–1947
Frankreich war für Georg Büchner eine zentrale Erfahrung in Studium und Politik. Seit wann aber hat Georg Büchner französische Leser gehabt? Hat man ihn tatsächlich erst 1948 beachtet, im Jahr der französischen Uraufführung von „Dantons Tod“ in Avignon? Schon im 19. Jahrhundert wurde sein Name immer wieder genannt. Anfangs meist nur als der ältere Bruder des damals weltberühmten Ludwig, doch als seine Werke in französischer Übersetzung (1889) vorlagen, plante das Theater „Odéon“ 1896/7 eine Aufführung von „La Mort de Danton“ – fünf Jahre vor der deutschen Uraufführung in Berlin. Anfang der 1930er Jahre galt „Woyzeck“ unter avantgardistischen Literaten als Geheimtipp. 1938/39 wurde das Fragment ebenso wie die Komödie „Leonce und Lena“ durch das Massenmedium Radio Millionen Hörern präsentiert. Zwei Wochen vor Kriegsbeginn 1939 sendete der französische Rundfunk „La Mort de Danton“. Der Übersetzer, ein jüdischer Emigrant aus Österreich, musste sich ab 1940 vor den NS-Mordkommandos in Sicherheit bringen. Den NS-Ideologen waren Büchners Werke eigentlich suspekt, doch die deutsche Besatzungsmacht setzte sie ein, um die französische Öffentlichkeit für eine kulturelle „collaboration“ zu gewinnen. 1941 wurden „Dantons Tod“ und „Leonce und Lena“ erneut über das französische Radio als Hörspiele gesendet, diesmal freilich unter der Kontrolle der Propagandaabteilung der Wehrmacht. Wie sehr Georg Büchner als deutscher „Dichter demokratischer Tradition“ im französischen Bewusstsein bereits verankert war, wird daran deutlich, dass die französische Besatzungsmacht nach 1945 darauf drängte, seine Werke endlich in den Kanon des Unterrichts an den deutschen Schulen aufzunehmen.