Tragbare Stürme
Von spurtenden Haaren und Windstoßfrisuren
Stürmisch getrimmtes Haar, verwegene Strähnen voller Tatendrang, Haare im ständigen Aufbruch, die dynamische Haarmatte des Vokuhila (vorne kurz hinten lang), die stets auf dem Sprung ist – solche Frisuren sind genau so starr wie alle anderen, aber sie mimen Bewegung. Ihr Vorbild könnte der »Unglaubliche« sein, dessen Haar nach 1795 stürmisch u. möglichst wüst nach vorne und ins Gesicht drängen soll; oder der Dandy, der wenig später sorgfältig seine Verwahrlosung inszeniert, dessen Haar so tut, als wäre just der Sturm hineingefahren. Ein Paradox – denn nach Auskunft der Friseure aller Zeiten schadet Bewegung und schadet insbesondere der Wind unserem Haar, und erst recht unserer Frisur, weshalb man bis auf den heutigen Tag allerhand Mittel dagegen entwickelt hat. Andererseits wurde das Haar, wenn schon nicht wehend getragen, so doch gern lebendig bewegt dargestellt: wohl als Ausdruck unserer Lebendigkeit. Was bedeutet es aber, wenn anstelle wirklich bewegter Haare ein tragbares Bild bewegten Haares tritt, mit dem Menschen tagaus tagein herumlaufen? Antworten darauf gibt die vorliegende Studie anhand vieler weiterer Beispiele: Hochfrisuren des Rokoko mit enormem Schlachtengetümmel, züngelndem Flammenhaar, Turbo-Frisuren für Sportler, die etwas permanent Losflitzendes haben, Haarhelmen der 70er, die eher der »Spannkraft«, als der Trägerin huldigen, beschwingtem »Big Hair«, dessen Elan seinem Träger immer schon voraus ist. Dabei wird die Rhetorik bewegten Haares, aber auch des Bewegung nur mimenden Haares deutlich – und damit auch die politisch wie ästhetisch gelagerten Motive für »tragbare Stürme« auf den Köpfen.