Wilde Frische – Zarte Versuchung
Männer- und Frauenbild auf Werbeplakaten der fünfziger bis neunziger Jahre
Die »wilde Frische von Limonen« versprach in den siebziger Jahren die Seife »FA« und bezeugte sie mit barbusigen, von ozeanischer Gischt umtosten Frauenkörpern. Eine »zarte Versuchung« ist nicht nur die Schokolade im lila Papier, für die dieser Slogan erfunden wurde, sondern zarte oder verschärfte Versuchungen wollen alle Werbemotive sein, die Erotik-, Erfolgs- oder Glücksversprechen machen. Bei der Darstellung der Geschlechter geht es indirekt, aber für jedermann und jede Frau offensichtlich, um das Thema aller Themen, um Liebe, Lust, Chancen bei der Partnerwahl und Erhalt dieser Chancen beim Partner. Bilder mit makellos schönen Frauen, Mannsbilder von unwiderstehlicher Ausstrahlung und freudestrahlende Familien raunen uns zu: dein Glück ist gemacht, wenn du die richtige Zigarette rauchst, dieses Deo benutzt, deine Lieben mit dieser Leckerei erfreust. Einen wesentlichen Teil solcher täglich auf uns einwirkenden Werbebotschaften empfangen wir von Plakaten im Straßenbild. Großflächenplakate im Format 356 x 252 cm garantieren schnelle Lesbarkeit und Fernwirkung. Motive, Farben und Schrift unterstützen sich gegenseitig bei der Vermittlung einer einfachen, übersichtlichen und einprägsamen Botschaft, die emotional auftrumpft. »Plakativ« sein bedeutet Verzicht auf Subtilitäten. Plakate springen den Passanten an, wollen ihn mit allen Mitteln zum Hinsehen zwingen: Erotik, Gefühl, Schmerz, Täuschung... Während das Kunst- und Künstlerplakat seinen festen Platz in Museumssammlungen hat, erfährt das Werbeplakat nur in seltenen Fällen – wenn es sich um von Künstlerhand geschaffene Beispiele handelt oder bei spektakulären Gestaltungsleistungen (z.B. den Benettonplakaten von Oliviero Toscani) – eine kulturgeschichtliche bzw. kulturkritische Würdigung. Daß die einzelnen Motive nach einer kurzen Verweildauer im Straßenbild für immer aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwinden, ist unter wahrnehmungsökonomischen und oft auch ästhetischen Gesichtspunkten freilich von Vorteil. Kritik an der Plakatwerbung wird meist an der Übermacht banaler und aufdringlicher Motive festgemacht, mit denen die Umwelt »verschandelt« und die Wahrnehmungsfähigkeit »abgenutzt« wird. Unter dem Gesichtspunkt alltagskundlicher Geschichtsschreibung stellt die Flüchtigkeit des Mediums aber einen Verlust dar – denn hier verschwindet höchst aufschlußreiches Material für Studien zum Mentalitätswandel. Das Archiv Leo Uth ist unter diesem Blickwinkel ein Glücksfall. Es bietet die einmalige Möglichkeit der Rekonstruktion und Dokumentation von 35 Jahren deutscher Plakatwerbegeschichte im Wechselspiel mit der gesellschaftlichen Entwicklung. Entlang zahlreicher Beispiele führt die Autorin auf ebenso unterhaltsame wie informative Weise durch die Kulturgeschichte der Plakatwerbung und leistet damit zugleich einen wichtigen und grundlegenden Beitrag zur Männer- und Frauenbildforschung.