Martin M. Schwarz, Ulrich Sonnenschein (Hg.)
Hessen gefälscht
Orte eigener Wahrheit
Fälscher und ihre Werke stehen für gewöhnlich unter gesellschaftlicher Ächtung. Der schlechte Ruf rührt von unserer Wertschätzung des Originals her, von der Aura der Einzigartigkeit, die wir ihm zuschreiben. Doch diese Aura ist eine Luftblase, denn so lange Menschen eine Fälschung für echt halten, genießt sie ja die gleiche magische Aufladung. Oft genug wird dabei auch unterschätzt, welchen sozialen Dienst die Fälscher, Täuscher und Nachahmer der Gesellschaft leisten. So lange es akzeptiert wird, was sie uns vormachen, scheinen sie ja spezifischen Bedürfnislagen entgegen zu kommen, Wunden zu heilen, Träume zu realisieren, Leerstellen aufzufüllen. So überdeckt die historische Rekonstruktion des Frankfurter Römerbergs die unerträgliche Erinnerung an die Lücken, die einst der Bombenhagel des Krieges riss. Und um wie viel besser schmeckt doch ein »Mon Chéri«, wenn uns der im Grunde an den Haaren herbeigezogene Begriff der Piemont-Kirsche den feurigen Geschmack des Südens verspricht. Außerdem überlagert unser Zorn auf enttarnte Fälscher auf unzulässige Weise den Eifer, die Leidenschaft und auch die Kunstfertigkeit, die sie in ihre Werke legten. Es kommt eben auf die Perspektive an, denn wir verurteilen ja umgekehrt auch nicht die Brüder Grimm, nur weil sie die Originalfassung der Märchen ein bisschen geschönt haben.
»Hessen gefälscht – Orte eigener Wahrheit« stellt Schauplätze und Machwerke raffiniert inszenierter Manipulationen in der hessischen Landesgeschichte vor unter besonderer Berücksichtigung der Motive, die ihre Macher antrieb. Dabei wird deutlich, dass ihr vorüber gehender oder anhaltender Erfolg auch unserer geheimen Faszination an ihren Persönlichkeiten oder Produkten geschuldet ist.
Die Fälle von »Hessen gefälscht« werden im Juli/August 2002 im 2. Hörfunk-Programm des Hessischen Rundfunks ausgestrahlt.